...sie laden mich ein, sie zu gestalten...sie gestalten sich selbst und mich mit...wir finden unsere Gestalt...

namenlos

Der Weg lag herbstbunt und scheinbar feundlich-einladend vor ihm. Freudig schritt er der Spätnachmittagssonne entgegen und ließ seine Gedanken weit schweifen - schickte sie auf eine Reise, die er wunderbar-schön fantasierte... wie auch immer.

namenlos_6Hinter dem lustig flackernden Gelbgrün der sterbenden Blätter und weit außerhalb seiner Wahrnehmung trieb sie sich herum, lauerte ihm auf, die alte schemenhafte Gestalt, die er längst hinter sich gelassen geglaubt hatte, die aber nach wie vor - wenn auch nur im Hintergrund - ihr Dasein suchte. Unbemerkt griff sie nach seiner inneren Geschichte, drehte sie mit einer flinken Handbewegung zu einer drahtigen Kordel bis einzelne Fasern einrissen, schlang sie um ihr Handgelenk und schloss ihre knochig-teigigen Finger um das Ende.

Was hatte er gerade gedacht? Wohin und woher hatte er sich geträumt? Er hielt inne, überlegte, doch an den Rändern wurde es brüchig und rissig, wie sehr er sich auch zu erinnern suchte. Mit einer hastigen Kopfbewegung versuchte er, das unangenehme Gefühl abzuschütteln, das ihm den Nacken hochkroch und wandte sich wieder der untergehenden Sonne zu. Schritt für Schritt, Moment für Moment, Riss für Riss, Eines für das Andere... Schritt ohne Schritt, Moment ohne Moment, Eines ohne das Anderenamenlos_11. Riss sowieso.

Sie tanzte in immer enger werdenden Kreisen und feierte lachend die erfolgreiche Gefangennahme bis hinein ins Zentrum, um dort einen schrillen Schrei auszustoßen.

Als der Boden so schräg wurde, dass er abzugleiten drohte, blieb er neuerlich stehen. Rasselnder Atem, Zittern, Herzrasen... da waren sie wieder, die alten, lang verbannten Bekannten, bekannten Verbannten. Mit schweißnasser, unsicherer Hand versuchte er, die Kordel zu fassen, schnitt sich ein. Weh! Er versuchte sich loszureißen, blieb jedoch wie angewurzelt in stummem Schrei stehen, als der Schmerz laut kreischend in ihm aufjaulte. Schnitt!

Und dann stand sie plötzlich vor ihm, langsam und lasziv lächelnd ihre Kleider ablegend. Er namenlos_8versuchte sie zu bannen und schrie ihr all die Namen entgegen, die er für sie hatte: "Furcht, Angst, Grauen, Panik..." Sie lächelte ihn an, entlößte ihren Oberkörper und flüsterte: "Bald!" Ihren Blick auf ihn gerichtet, führte sie die Hand zum Mund und begann an der ausgefransten Kordel zu saugen. Langsam, quälend langsam glitten all seine Worte, Bilder und Träume zwischen ihren Zähnen hindurch, während sie ihren Hosenknopf öffnete...

Als sie schließlich nackt und >namenlos< vor ihm stand, war da nur noch ...nichts, war er ...nicht.

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