...sie laden mich ein, sie zu gestalten...sie gestalten sich selbst und mich mit...wir finden unsere Gestalt...

knochenarbeit

knochenarbeit_7Nun hat sie diesen Garten ihrer Großmutter geerbt und steht in einer Wildnis. Vor ihrem inneren Auge sieht sie sich, mit einem schicken Bikini bekleidet und einem Cocktail in der schlanken Hand in einem Liegestuhl auf einer gepflegten Rasenfläche, während ein schmucker, knackig-junger Gärtner willfährig all ihren Wünschen nachkommt.

Tatsächlich zu tun hat sie es mit rankenden, wild wachsenden Hecken, Blumen, Gebüschen, Wildkräutern und Stauden, deren Reiz sie nicht zu erkennen vermag. Vor Allem aber diese eine Pflanze mit den violetten, kleinen Blüten, die wirklich überall wuchert, ist ihr ein ganz besonderer Dorn im Auge. In tagelanger, verbissener Knochenarbeit, die sie beinahe um den Rest ihres Verstandes bringt, versucht sie, ihrer Herrin zu werden. Stück für Stück reißt sie die Pflanzen aus. Die Frühlingssonne blendet sie, der Schweiß, vor dem ihr ekelt, rinnt in Bächen ihren Körper hinab, alle Knochen tun ihr weh. Wütend schreit sie auf, als ihre sorgfältig und teuer manikürten Fingernägel brechen, und umso heftiger hackt sie auf die nahezu schwarzen Wurzeln dieser Pflanze ein, die sich nicht ausreißen lassen.

Nach einer Woche ist sie fertig, schaut sich mit siegessicherem Lächeln um und reibt sich die Hände. Da fährt ihr ein heißer, spitzer Schmerz in den Rücken. Sie taumelt zurück, stolpert über den achtlos in die Wiese geworfenen Spaten und verknöchelt. In Sekundenschnelle schwillt ihr rechter Fuß an und stehtknochenarbeit_3 in Sachen Schmerz dem Rücken um Nichts nach - ganz im Gegenteil! Mit Müh und Not schafft sie es laut jammernd zur Apotheke. Dort rät ihr der naturheilkundlich bewanderte, betagte Pharmazeut zu einer Beinwell-Salbe; diese täte sowohl ihrem Bein als auch ihrem Rücken wohl. "Was soll ich mit diesem Pflanzen-Pipapo?", fährt sie den alten Mann erbost an, "Ich brauche etwas Wirksames!" Doch dieser hält beharrlich-unbeugsam und immer noch friedvoll lächelnd an seiner Empfehlung fest. Frustriert fährt sie schließlich mit der ungewollten Salbe nach Hause und legt sich ins Bett. Der Schmerz quält sie; sie findet keine Ruhe. In Ermangelung einer chemischen Keule, schmiert sie Bein und Rücken widerwillig mit der jüngst erworbenen Salbe ein, pfeffert die Schachtel an die gegenüberliegende Wand, deckt sich zu und schläft in der Hoffnung, vom feschen Gärtner zu träumen, letztlich ein.

Und wahrlich, da erscheint er ihr, der schmucke, knackig-junge Mann. Er lächelt ihr zu und nimmt sie an der Hand, um sie in den Garten zu führen. Bereitwillig und voller Erwartung - Liegestuhl, Rasen, Cocktail! ...und vielleicht sogar auch ein bisschen Liebe...? - lässt sie sich von ihm führen und wirft ihm heimlich knochenarbeit_4verklärte Blicke zu. Doch Halt! Der schwitzt ja, hat Schwielen an den Händen, ist nicht fein-säuberlich rasiert und an seiner Hose klebt Erde! Und seine Zähne scheinen auch ein wenig schief zu sein! Sie überlegt gerade noch, ob und wie sie sich von ihm losreißen und ihn zum Teufel schicken könnte, als sie schon im Garten steht und verwundert um sich blickt. Das summt und blüht es; die Wildnis erstrahlt in ihrer ganzen würdevollen Pracht, der sie sich nun nicht mehr entziehen kann. Sie blinzelt und staunt ehrfürchtig angesichts der wilden Schönheit, und eine unbekannte, tiefe Zufriedenheit erfüllt sie, als sie diese wuchernde Pflanze mit den kleinen violetten Blüten in alter Frische sich ausbreiten sieht.

Als sie am nächsten Morgen aufwacht, rekelt sie sich zufrieden und freut sich über die ersten frühmorgendlichen Sonnenstrahlen, die ein warmes Licht ins Zimmer werfen. Erstaunt stellt sie fest, dass Fuß und Rücken kaum noch schmerzen. Sie steht beschwingt auf, hebt die leere Salben-Schachtel vom Boden auf, betrachtet sie und muss erschrocken feststellen, dass sie in der Woche zuvor gerade diesen Beinwell gerodet hat, der an und in ihr diese wunder- und heilsame >knochenarbeit< geleistet hat. Das schlechte Gewissen und eine umfassende Traurigkeit bemächtigen sich ihrer. Wie kahl es an den vielen Stellen ihrer Verwüstung ist... - nur noch dunkle Erde...

...nach einigen Tagen aber schon drängen sich tiefgrüne, spitze Blätter aus der Erde, die aus den zerhackten Wurzeln sprießen und sich von nun an ungehemmter denn je ausbreiten dürfen... Und wo und wann der zwar nicht ganz saubere, dafür aber umso sympathischere, liebenswerte junge Mann in ihr Leben gekommen ist, das ist eine andere, aber auch sehr schöne Geschichte.

 

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