...sie laden mich ein, sie zu gestalten...sie gestalten sich selbst und mich mit...wir finden unsere Gestalt...
Da meine Stimme zur Zeit nur noch ein schmerzendes, heiseres Flüstern ist, schreibe ich dir nun einen Brief. Letzte Woche hast du deinen Sitzplatz in meinem Nacken verlassen und bist hinauf in meinen Kopf gekrochen.
Dort machst du dich seitdem breit und feierst eine fragwürdige Ein-Personen-Party; verlierst deine Grenzen, schlüpfst - mir die Farben stehlend - in jede Ritze meines Schuppenkleides, raubst mir den Himmel aus den Augen; dann wieder springst du hämisch grinsend aus meinem Blick und breitest dich mit deinem schal-fauligen Geschmack in meinem Mund aus, nimmst mich ein. Nachts kann ich kaum noch schlafen, weil du in den Räumen über meinem Schlafzimmer stampfst, tobst und schreist. Ich schrecke hoch, schreie mit. Ich weiß nicht mehr, welcher Blick wem gehört, wer du bist und wer ich. Machst mich beben und schreien, bis ich du bin.
Ich muss schon sagen, dass ich es eigentlich ziemlich unmöglich und sehr unverschämt von dir finde, einfach ungefragt bei mir einzuziehen und dich so zu benehmen. So kann man/frau nicht gemocht werden! Gleichzeitig hab ich aber eigentlich viel über für unverschämte Leute. Also sage ich dir jetzt einmal etwas und mache dir einen Vorschlag: wenn man/frau eine Wohnung teilt, dann sollte man/frau sich zuerst einmal kennenlernen und dann die grundlegenden Dinge ausmachen - wer wohnt in welchem Zimmer, wie gehen wir mit den gemeinsamen Räumen um, wann bleiben die Türen geöffnet und was bedeutet es, wenn sie geschlossen sind, wer übernimmt was und wie im Alltag, wie können Ein- oder auch Mehr-Personen-Partys gestaltet werden, ohne dass jemand zu Schaden kommt usw.?
Jetzt aber genug fürs Erste von mir und meinen Vorstellungen... Wer bist du eigentlich? Woher kommst du und wie geht es dir? Warst du immer schon grau und blass? Erzähl mir doch, wie dein Geschmack war, bevor er faulig wurde; war er süß? Blumig? Erdig? Was ist dir nur geschehen? Wovor fürchtest du dich so, dass du so laut und schrecklich sein musst? Vielleicht möchtest du das auch einmal loswerden. Da wir ja eine Wohnung teilen, fände ich es naheliegend und günstig, wenn du dich mir anvertrauen würdest. Oder? Ich will mich ja schließlich auch auskennen. Ich würde dich gerne heute Abend treffen, am Besten an einem neutralen Ort außerhalb - Parkbank, Biergarten, Flussufer... wo auch immer. Was meinst du dazu? Ich denke, dann könnten wir eventuell Pläne aushecken, wie wir uns vor Gefährlichem hüten und lernen, damit umzugehen.
LgU